Effizienter Sachbücher schreiben mit Konzepten der Technischen Redaktion
21. November 2008, 20:01 Uhr Frank
Folgender Artikel erscheint in der kommenden Ausgabe des Newsletters »Crossmediales Publizieren«, der sich an Verlage und Medienunternehmen richtet.
Er entstand als Fortsetzung zu unserem Vortrag »Technische Redakteure als Autoren eines Sachbuchs für Open-Source-Software« auf der tekom-Jahrestagung, bei dem wir auch kurz angerissen haben, was Verlage bei ihrer Arbeit von der Technischen Redaktion lernen können.
Oft vergeht mehr als ein Jahr, bis ein Titel nach der ersten Idee im Regal der Buchhändler steht. Bei seinem Erscheinen läuft jedes Werk Gefahr, bereits veraltet und von schnelleren Medien wie dem Web überholt worden zu sein. Zudem buhlen mehrere Verlage um dieselbe Leserschaft – da kann es nicht schaden, im Rennen um den Erscheinungstermin auf einem der vorderen Plätze zu liegen.
Industrieunternehmen kämpfen mit einer ähnlichen Herausforderung: Normen und Gesetze schreiben vor, dass jedem Produkt eine gedruckte Bedienungsanleitung beiliegen muss. Damit die Dokumentation die immer schneller werdenden Produktzyklen nicht ausbremst, ist ein eigenes Fachgebiet entstanden. Die sogenannte Technische Redaktion befasst sich mit Informationsentwicklung und Wissenskommunikation in Unternehmen. Sie entwickelte Methoden, um die anschwellende Informationsflut effizient zu verwalten und in immer kürzerer Zeit zielgruppengerecht zu publizieren. Dabei kombinierte sie wissenschaftlich fundierte Konzepte über Sprache und Informationsverarbeitung mit technischen Hilfsmitteln wie Redaktionssystemen.
Technische Redakteure und Verleger kämpfen an derselben Front: Sie wollen möglichst schnell, mit möglichst wenig Aufwand ein möglichst gutes Druck-Erzeugnis veröffentlichen. Weil sich in vielen Bereichen des Verlagswesens seit Einführung des Desktop-Publishings vor mehr als zwanzig Jahren wenig geändert hat, können Verleger in mancher Hinsicht von Technischen Redakteuren lernen. Im Folgenden zeigen wir anhand einiger Beispiele, wie das Verlagswesen Konzepte der Technischen Redaktion einsetzen kann, um den Lesern noch bessere Bücher anzubieten und dabei Kosten und Zeit zu sparen.
Bei vielen Buchprojekten schreibt der Autor seinen Text in einer Microsoft-Word-Dokumentvorlage. Jedem Absatz weist er eine Formatvorlage zu, die zum Beispiel die Darstellung von Fließtext, Aufzählungen oder Marginalientexten festlegt. Ein professioneller Setzer übernimmt das Word-Dokument als Grundlage, importiert es in ein Satzsystem wie Adobe InDesign oder QuarkXPress und gestaltet damit den endgültigen Satz.
Ergeben sich Änderungen am Manuskript – im normalen Lektoratsprozess oder bei einer Neuauflage – gibt es keinen Weg, diese automatisiert in den Satz zu übernehmen. Der Setzer muss die Änderungen von Hand im Satzsystem einarbeiten. Das bedeutet einen erheblichen Arbeits- und damit Geldaufwand, der die Marge schmälert. Der Änderungsdienst beruht häufig noch auf Korrekturen auf Papier, die Verlag und Autor in schweren Paketen hin- und herschicken. Das zwingt den Autor, Änderungen, die er an seinem elektronischen Text vorgenommen hat, mühsam mit Korrekturzeichen auf Papier zu übertragen. Besser wäre, Korrekturen an digitalen Dokumenten im Portable Document Format (PDF) vorzunehmen und den Umweg über Papier zu sparen.
Einen Schritt weiter geht die Idee der Technischen Redaktion, Inhalt und Layout voneinander zu trennen. Als Standard hat sich dafür die Extensible Markup Language, kurz XML, durchgesetzt. XML-Dokumente sind in der Regel reine Textdokumente, können also mit einem Editor wie Notepad direkt geöffnet und bearbeitet werden. Dabei wird jeder Absatz in sogenannte Tags mit spitzen Klammern eingeschlossen.
<Marginalie>Dieser Text steht in der Marginalie.</Marginalie>
Selbst mathematische Formeln und komplexe Tabellenstrukturen lassen sich damit abbilden. Die jüngste Generation der Redaktionssysteme generiert aus XML-Dokumenten vollautomatisch fertig gesetzte Publikationen. Mit einem Mausklick weist der Lektor das Redaktionssystem an, eine druckfertige Publikation zu erzeugen. Um sein Werk zu ändern, muss der Autor dem Verlag nur jene Abschnitte seines Textes schicken, die sich wirklich geändert haben. Wer wann welche Korrekturen am Text vorgenommen hat, lässt sich dank Versionierung und automatischer Änderungsnachverfolgung nachvollziehen. Langwierige Abstimmungen mit einem menschlichen Setzer entfallen zu einem großen Teil oder sogar ganz. Nicht verschwiegen werden darf, dass am Anfang natürlich ein erheblicher Umstellungsaufwand geleistet werden muss, um die neuen Prozesse und Systeme einzuführen. Außerdem sollte der Verlag die Autoren mit der neuen Arbeitsweise vertraut machen.
Die Technische Redaktion strebt nach möglichst großer Standardisierung beim Erstellen der Texte. Einheitliche Formulierungen und Benennungen steigern nachweislich die Verständlichkeit von Texten für die Leser. Zwar geben viele Verlage ihren Autoren, die für eine Sach- oder Fachbuchreihe schreiben, Vorgaben mit auf den Weg – diese reichen jedoch oft nicht aus. Es empfiehlt sich, einen umfassenden Autorenleitfaden mit Festlegungen zu Formulierungsregeln und Terminologie zu erstellen – besonders, wenn mehrere Autoren an einem Buch arbeiten.
Formulierungsregeln legen möglichst genau fest, auf welche Weise ein bestimmter Sachverhalt ausgedrückt wird. Jedem Satz in einem Text lässt sich eine klare Funktion zuordnen – er beschreibt etwas, gibt eine Aufforderung zu einer Handlung, warnt vor einer möglichen Gefahr usw. Jede dieser Funktionseinheiten sollte einheitlich aufgebaut sein. Bei einem Sachbuch zu einer Software liegt es nahe, Handlungsaufforderungen immer nach demselben Muster zu formulieren, beispielsweise im Imperativ der Höflichkeit: »Klicken Sie auf die Schaltfläche OK.« Das bedeutet auch, beschreibende und anleitende Abschnitte klar zu trennen und alles, was der Leser tun soll, deutlich als Handlungsaufforderung zu formulieren und nicht in einer Beschreibung zu verstecken.
Terminologie bezeichnet die Gesamtheit eines Fachwortschatzes. Das Ziel einer einheitlichen Terminologie besteht darin, für jeden Begriff genau eine Benennung zu verwenden. Das Ding, auf das der Anwender einer Software klickt, um eine Aktion auszulösen, heißt »Schaltfläche«. Synonyme wie »Button« dürfen nicht verwendet werden, weil sie die eindeutige Zuordnung und damit das Verständnis erschweren.
Hierbei muss die Balance zwischen Wiedererkennungswert und Individualität, Standardisierungsbestrebungen und Formulierungsfreiheit immer wieder ausgewogen werden.
Frank Ully, Theresa Rickmann
Die Autoren studieren Technische Redaktion an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft. Sie lernten bei unterschiedlichen Projekten die Arbeitsweise von Verlagen kennen. Im Sommer 2008 erschien ihr Sachbuch über ein aktuelles Internet-Thema.
Thema: Technische Redaktion
Stichwörter: Schreiben, Technische Redaktion, Verlag
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bisher 1 Kommentar
1. Alex | 29. November 2008, 16:03 Uhr
Gut geschriebener Artikel, trifft den Nagel auf den Kopf. Im Verlagswesen gehen die Uhren anders…